Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Institutionelles Abkommen und Sozialpartnerschaft

Das Institutionelle Abkommen (= Rahmenabkommen) sei Gift für die Sozialpartnerschaft lässt der Gewerkschaftsbund durch seinen Sekretär und Chefökonom im Dezember 2018 in der NZZ mitteilen.

Vom andern Ende des politischen Spektrums kommt in derselben Zeitung im Januar 2019 das Echo vom Direktor des Gewerbeverbandes: “Wir wollen die Sozialpartnerschaft nicht auf Druck der EU preisgeben.“

Beide lehnen das Institutionelle Abkommen ab, das der Bundesrat in einem vierjährigen Prozess mit der EU ausgehandelt hat.

Was ist davon zu halten?

Nach den Regeln des Binnenmarkts sollen weder Arbeitnehmer noch Unternehmen diskriminiert werden, wenn sie grenzüberschreitend einer beruflichen oder geschäftlichen Erwerbstätigkeit nachgehen.

Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sollen Arbeitnehmer aus den andern Binnenmarkt-Ländern vom Staat nicht schlechter behandelt werden als inländische Arbeitnehmer.

Auf dem Schweizer Markt für Waren und Dienstleistungen sollen Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern vom Staat nicht schlechter behandelt werden als einheimische.

Schweizer Arbeitnehmer und Betriebe haben in den Binnenmarktländern denselben Rechtsanspruch auf Nichtdiskriminierung.

Weshalb sollen diese Binnenmarktgrundsätze die Sozialpartnerschaft in der Schweiz in Frage stellen?

Nach den Binnenmarktregeln können Gewerbeverband und Gewerkschaftsbund so viele Gesamtarbeitsverträge (GAV) abschliessen wie sie wollen. Sie können darin Mindestlöhne in jeder Höhe vereinbaren.

Sie können vereinbaren, dass alle Betriebe acht Tage vor Ausführung eines Auftrags die Namen der beschäftigten Arbeitnehmer, ihre persönlichen Daten und die bezahlten Löhne den Gewerkschaften melden müssen. Sie könne in GAV vereinbaren, dass sich alle Betriebe und Arbeitnehmer vor Ausführung eines Auftrags gewerkschaftlichen Lohnkontrollen unterziehen müssen.

Sie können vereinbaren, dass alle Handwerksbetriebe vor Arbeitsbeginn eine Kaution von CHF 10‘000 zahlen müssen, damit allfällige Bussen wegen GAV-Verletzungen abgesichert sind.

Das alles verletzt keine Binnenmarktregeln, sofern nicht nur die ausländischen, sondern auch die inländischen Betriebe diesen Vorschriften unterstellt sind. Die Sozialpartnerschaft hat unter den Binnenmarktregeln ein freies Spielfeld. Ob alles im Interesse der Betroffenen ist, steht auf einem andern Blatt.

Wo liegt also das Problem?

Ganz woanders – jedenfalls nicht bei der Sozialpartnerschaft.

Hand in Hand kämpfen Gewerkschaftsbund und Gewerbeverband für die Abschottung der Preisinsel Schweiz vor jedem Wettbewerb. Schlichter Protektionismus nach altbekanntem Muster ist das gemeinsame Ziel beider Organisationen.

Die Gewerkschaften wollen keine Arbeitnehmer aus den andern Binnenmarktländern in der Schweiz sehen. Der Gewerbeverband will keine Handwerksbetriebe aus den benachbarten Binnenmarktländern in der Schweiz sehen.

Um das zu erreichen, wollen sie Arbeitnehmer und Handwerksbetriebe aus den benachbarten Ländern mit möglichst hohen bürokratischen Hürden (wie schikanösen Meldepflichten, Lohnkontrollen, Formularen, Kautionen und Bussen) von der Schweiz fernhalten.

Inländische Arbeitnehmer und Betriebe sind selbstverständlich von solchen Pflichten befreit. Sie sollen ja bevorteilt werden. Es geht darum, ungeliebte Konkurrenten mit staatlichen Schikanen vom Schweizer Markt fernzuhalten.

Die Schweiz hat sich indessen mit den bestehenden Bilateralen Abkommen verpflichtet, ausländische Arbeitnehmer und Betriebe nicht zu diskriminieren. Das institutionelle Abkommen soll die Einhaltung dieser Verpflichtung gewährleisten.

Verbandsprivilegien

Für den Vollzug der wettbewerbsfeindlichen Vorschriften hat der Bund den Kantonen die Einsetzung von sog. Tripartiten Kommissionen vorgeschrieben. Darin sind Gewerkschafts- und Gewerbesekretäre vertreten.

Sie und Branchenvertreter kontrollieren den Zutritt der Mitbewerber aus den Binnenmarktländern zum Schweizer Markt.

Die kantonalen Steuerzahler bezahlen die Verbandssekretäre in diesen Gremien. Ausserdem haben die Verbände Anspruch auf eine Entschädigung aus der Steuerkasse jener Kosten, die ihnen aus dem Vollzug des Entsendegesetzes zusätzlich zum üblichen Vollzug des GAV entstehen.

Die Verbände sind auch befugt, bei den EU-Handwerksbetrieben GAV-Beiträge einzuziehen. Auf all diese Einnahmen möchten sie verständlicherweise nicht verzichten. Das schweisst Links und Rechts zusammen.

Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Einsetzung der inländischen Konkurrenten als Kontrolleure der EU-Mitbewerber eine fragwürdige Angelegenheit.

Laut unserer Bundesverfassung haben auch Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern in Verfahren vor Kontrollinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung. Das dürfte bei einer Besetzung des Kontrollorgans mit den Konkurrenten schwierig sein.

Das ist den Verbänden bekannt, weshalb sie eine Überprüfung durch den EuGH ablehnen.

Partner im Protektionismus

Gewerkschaftsbund und Gewerbeverband wissen, dass die Schweiz seit 2006 die vertraglich vereinbarte Nichtdiskriminierungspflicht nicht einhält. Und sie wollen, dass dies so bleibt und mögliche Binnenmarkt-Konkurrenten mit staatlichen bürokratischen Schikanen von Schweizer Markt vertrieben werden. Mit Sozialpartnerschaft hat das nichts zu tun. Wohl aber mit Partnerschaft im Protektionismus zulasten der Konsumenten und der exportierenden Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer.

Trotz Missachtung des Diskriminierungsverbots will die Schweiz die Vorteile des Binnenmarkts in Anspruch nehmen. Der Bundesrat reklamiert in Bern und in Brüssel laut, wenn die EU neue Zugänge zum Binnenmarkt einfriert, solange das Institutionelle Abkommen nicht abgeschlossen ist. Er erhält viel Zustimmung von den gleichen Kreisen, welche die Preisinsel Schweiz mit allen Mitteln vor Konkurrenz aus dem europäischen Binnenmarkt abschotten wollen.

Dass diese Position bei den übrigen Binnenmarktländern keine Begeisterung auslöst, verwundert nicht. Es ist die alte Cherry-Picking-Strategie, die in der neuen Zusammensetzung der Landesregierung eine neue Blüte erlebt, aber von den andern 31 Ländern im europäischen Binnenmarkt abgelehnt wird.

Neue Koalitionen ?

Allenfalls schliessen sich Gewerkschaftsbund und Gewerbeverband den Schweizer Rechtsnationalen an, die den Austritt der Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt verlangen.

In der Meinung, man könne dann endlich auf der Insel Schweiz souverän überall - nicht nur in der Landwirtschaft – staatlich oder durch Kartelle und GAV Preise und Löhne festsetzen, wie man wolle.

Natürlich müsste man noch unilateral die Zölle massiv erhöhen - nach den Rezepten aus der Trump’schen Wundertüte. Zahlen soll die Zeche der Schweizer Konsument und Normalverdiener. Der steckt dann in der Protektionismus-Falle.

Bei der neuen Protektionismus-Koalition besonders bedanken werden sich die exportierenden Unternehmen und ihre Arbeitnehmer. Sie verlieren den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt, das Hauptabsatzgebiet für Schweizer Waren und Dienstleistungen. Ausserdem sehen sie sich mit Kontrazöllen der Handelspartner konfrontiert.

Ob dann die Verbandskassen noch gefüllt werden?

25.01.19

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